Thomas F. Fischerla gaia scienza24. April - 23. Mai 1998 |
Fotos: Dietmar Seip |
Rasend schnellZeichnungen von FischerWo beginnt das Prinzip der Zeichnung? Mit einer Zahl, die flüchtig auf ein Stück Papier geschrieben wird? Mit einer gezielt auf das Blatt gesetzten Tuschespur? Mit intuitiv gezogenen Linien, die unversehens zu einer Struktur geworden sind? Wo also ist der Anfang zu setzen? In Thomas F. Fischers Zeichnungen, die zur Zeit in der Kölner Galerie Arting aus- und zur Debatte gestellt sind, kommt all das zusammen vor. Zahlen, Farbwinkel und einzelne Wörter überlagern und durchdringen einander wie die verschiedenen Assoziationen, die in rasender Geschwindigkeit und verschlungener Wechselwirkung fortwährend durch den menschlichen Kopf geistern. Immer sind es zwei Zeichnungen, die der Künstler als Diptychon nebeneinander plaziert, ein Ausdruck der Einsicht, daß Korrespondenz die Dinge in Bewegung bringt und die Summe von Teilen stets mehr ist als ihre bloße Addition. In der Lücke des fingerknöcheldicken Abstands zwischen den beiden Zeichnungen spielt die "entscheidende" Erfahrung. Was hat die Zahlenreihe einer Berechnung mit den Farben Grün oder Blau zu tun? Wie geht der Klang eines Rock'n'Roll-Ausrufes in einen Tuschschwung über? Verlangen nach KlarheitDas Verlangen nach Klarheit trifft auf die Verwirrung, die aus der Mehrschichtigkeit und Vieldeutigkeit des Lebens wächst. Der Übergang von rationaler und emotionaler Intelligenz ist ein zentrales Motiv. Bei aller Leichtigkeit, die Thomas F. Fischers Blättern anhaftet, betont der Künstler immer wieder mit Nachdruck, daß seine Zeichnungen keineswegs blindlings aus dem Bauch heraus, sondern sehr distanziert und kontrolliert entstehen. Er vergleicht sie dabei mit den freien Improvisationen des Jazz, die alle Freiheit besitzen und doch nicht aus dem musikalischen Thema herausfallen. Jürgen Kisters, Kölner Stadt-Anzeiger, 8. Mai 1998 |
"La gaia scienza", #16, 1994 Bleistift, Tusche, Aquarell auf Karton 32,7 x 14,5 cm Fotos: Dietmar Seip |
Thomas F. Fischer:"La gaia scienza"Die Mathematik gilt als Inbegriff einer rationalistischen Vorgehensweise: In Formeln und Gleichungen, mit Kurven und Funktionen, mit Lehrsätzen und Berechnungen versucht sie Werte und Wahrheiten auszudrücken, sei es in absoluten Zahlen, oder sei es als Bruchstücke oder Teilmengen. Der solchermaßen ermittelte Zahlenwert (oder Stellenwert innerhalb eines Koordinatensystems) hat etwas Unverrückbares, auch als Bezifferung einer Relation zu anderen Werten. Thomas F. Fischer notiert Berechnungen, Additionen zumeist, auf dem Zeichenpapier. Dies ist der Ausgangspunkt eines bildnerischen Prozesses. Zusammen mit Textfragmenten sind diese Notizen Spuren einer vernunftmäßig angelegten Suche des Menschen nach sich selbst. Aus dem Zusammenhang quantifizierbarer, d.h. meßbarer Werte lassen sich jeweilige Positionen im Weltgefüge ermitteln. Doch wir wissen aus mancherlei Alltagserfahrungen, wie dehnbar die Interpretation von Statistiken ist, wie unverfroren mit Zahlen jongliert werden kann, wie nichtssagend manches Zahlenwerk ist. Der nüchterne, kühle Rationalismus gilt vielfach als ungeheuerlich - seine Erklärungsmodelle bedürfen der Humanisierung durch eine emotionale Komponente. Der Drang nach Gewißheit stößt dort an Grenzen, wo eine Unkalkulierbarkeit, eine Ungewißheit des Daseins immer die Oberhand behält. Fischer zitiert in seinen Zeichnungen Nietzsches "Fröhliche Wissenschaft" - die Ausstellung ist mit der italienischen Übersetzung "La gaia scienza" betitelt, und darin steckt gleichzeitig auch ein Verweis auf die vorhellenistische Erdgöttin Gaia, die Mutter der Titanen. Verborgenes, im Laufe der Geschichte in den tieferen Schichten des kollektiven Bewußtseins verschüttetes Wissen kann hier und dort schemenhaft sichtbar werden: Künstlerische Intuition ist eine der Antriebskräfte dazu. Diese Intuition entzieht sich jeglicher rationaler Grundlage, sie mündet nicht in lexikalisch Sortiertes, dient nicht der Verifizierung von Axiomen. So wirken denn Fischers Zahlenkolonnen geheimnisvoll, wie Chiffren, die für etwas anderes stehen, wobei die Addition gleichzeitig rechnerisch richtig ist: das Verschlüsselte und das Einsichtige sind zwei gleichwertige Komponenten, auch wenn die Zahlen manchmal auf dem Kopf stehen oder durchgestrichen sind. In weiteren Arbeitsgängen überzeichnet Fischer diese Notizen mit farbiger Tusche oder mit einem reliefartigen Auftrag von Aquarellpigmenten; manchmal werden auch markante Kreidestriche hinzugefügt. Als Ergebnis stehen klar umrissene Farbflächen kontrastiv nebeneinander. Auf einem Blatt überlagert ein sattes Gelb ein Rosé mit starker rötlich-violetter Beimischung. Es sind farblich akzentuierte Interpretationen jener Auslotung, die oben als Suche beschrieben wurde, mit einem klaren Bekenntnis zu derTatsache, daß die persönliche Empfindung von Farbe auch sentimental sein kann. Die neuen Zeichnungen sind farbintensiver als frühere, bei denen Fischer Kaffeesatz als Malmittel verwendete. Wo in der aktuellen Ausstellung manches mitunter auch impulsiv wirkt, sollte es jedoch nicht in jenem Sinne als "dionysisch" mißverstanden werden, wie Nietzsche diesen Begriff verwendet hat. Der klare Plan einer Berechnung, die Exaktheit der Angabe einer Lotmessung wird konterkariert durch die Mehrschichtigkeit der Farbanlage. Dadurch werden die Bildebenen diffus, wie auch mancher Erkenntnisprozeß zu einer tiefen Verunsicherung führen kann, eher verwirrend als erhellend ist, oder nur Ahnungen, aber keine konkrete Faßlichkeit hervorruft. Im Alltag sagt ein Rechenergebnis nichts über die anschließende emotionale Bewertung aus, die zu einer Enttäuschung führen kann, wenn die vorherigen Wünsche und Erwartungen mit dem ermittelten Zahlenergebnis nicht deckungsgleich sind. Fischer hat seine Zeichnungen paarweise angeordnet - als Diptychen. So entsteht ein Dialog zwischen analogen Bildaussagen, zwischen einem Bild und seinem Pendant. Wo schon in jeder einzelnen Zeichnung ein dialektisches Verhältnis von Planung und Erinnerung visualisiert wird, ist solch eine Inszenierung mit Bild-Paaren eine stimmige Konsequenz. Jürgen Raap, Kunstforum 141, Juli-September 98 |